Künstliche Befruchtung

Zu arm zum Kinderkriegen


Ist Kinderwunschbehandlung nur etwas für Reiche? Paare wie Marie und Sebastian kommen an ihre Grenzen, wenn die Kasse nicht mehr zahlt.

 


Im Jahr 2011 gab es das beigefarbene Sofa. 2012 die künstliche Befruchtung. Marie und Sebastian müssen sparen, um Kinder zu kriegen. Natürlich und kostenlos klappt es seit vier Jahren nicht.

  • UNGEWOLLT KINDERLOS
  • DIE THEMENWOCHE
  • LESERARTIKEL

Wer Kinder will, hat kein Problem? Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland haben keinen Nachwuchs, obwohl sie ihn sich wünschen. Doch darüber reden will fast niemand. Ungewollte Kinderlosigkeit ist ein so intimes Thema, dass nur schwer öffentlich zu diskutieren ist.  

ZEIT ONLINE schildert in einer Themenwoche, wie Menschen mit Unfruchtbarkeit und ihren Folgen umgehen. Wie ist es zu erklären, dass das Problem größer wird? Welche medizinischen Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Und was müsste die Gesellschaft tun, um den Betroffenen zu helfen?

Marie arbeitet als Pflegehelferin, Sebastian als Malermeister. Monatlich haben sie etwa 2.300 Euro zum Leben. Nach der Miete für zwei Zimmer, nach Kosten für Strom und Wasser, Telefon und Versicherungen bleiben ihnen 1.200 Euro. Die beiden haben ein Auto und eine Katze. Sie haben keine teuren Hobbys, gehen nicht ins Kino oder Theater, auf Konzerte oder zum Fußball ins Stadion.

Marie backt gern. Und ihrer einjährigen Nichte hat sie zu Weihnachten eine knallgrüne Wolljacke mit Holzknöpfen gestrickt. Sebastians große Leidenschaft sind Eisenbahnen. Einmal im Jahr fahren die beiden in den Harz, wo noch dampfbetriebene Schmalspurbahnen durch die Landschaft fahren. Keine große Sache, dieser Jahresurlaub. Von Hamburg aus sind es drei Stunden hin, drei Stunden zurück.

Im vergangenen Jahr sind sie zu Hause geblieben. Ihr großer Wunsch nach einer Familie war stärker. Beides ging finanziell nicht.

Marie und Sebastian räumen ihr Konto. Ihre Eltern geben 200 Euro dazu. "Wir haben das nachher aber alles zurückgezahlt", sagt Marie. Ihr ist das peinlich. Die 29-Jährige musste sich überwinden, ihre Eltern nach Geld zu fragen.nichts übernimmt, wussten sie vorher nicht. Dafür müssten sie verheiratet sein, so steht es im Paragraph 27a, Sozialgesetzbuch zur Gesetzlichen Krankenversicherung. Zum Schutz der Ehe.

Kassen übernehmen die Hälfte für drei Versuche

Bis zur Gesundheitsreform 2004 haben die Krankenkassen vier Versuche einer künstlichen Befruchtung komplett erstattet. Seitdem übernehmen die Kassen nur noch die Hälfte der Kosten für maximal drei Versuche. Akzeptiert werden verheiratete Paare, sie zwischen 25 und 40, er zwischen 25 und 50 Jahre alt, und mit den eigenen Ei- und Samenzellen.

 

Im Jahr der Reform gab es lediglich halb so viele Befruchtungen, 37.633 gegenüber 80.434 im Vorjahr 2003. Mittlerweile ist die Anzahl der Versuche gestiegen. Sie bleibt aber deutlich unter dem Niveau von 2003, als die Kosten noch übernommen wurden.

Mehr als Insemination ist nicht drin

Als die Gesundheitsreform debattiert und verabschiedet wird, fängt Marie gerade mit ihrer Ausbildung zur Pflegehelferin an. Mit 20 lernt sie Sebastian kennen. Sie kann sich vorstellen, mit ihm irgendwann eine Familie zu gründen. Im Juni 2012, acht Jahre später, sitzen die beiden auf den Korbsesseln im Wartezimmer des Fertility Center Hamburg. Mit ihnen andere Paare, ganz weit weg, auf der anderen Seite des weiten Raumes. Keiner redet. Keiner bewegt sich. Nur wenn ein Kind reinkommt, schauen alle auf. Marie ist nervös. Vielleicht ist es ihre einzige Chance. Sie geht die Stuhlreihe durch: Was arbeiten die wohl? Wie können die sich das leisten? Besonders die jungen Leute.

Die meisten sind wegen einer ICSI oder einer IVF hier. Manche Paare müssen von den Ärzten gebremst werden, weil sie keinen Menstruationszyklus auslassen wollen. Sie wollen sofort weitermachen, wenn es nicht funktioniert hat. Erst ab dem vierten Versuch liegt die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden höher als 50 Prozent. Ein Versuch kostet 3.000 bis 4.000 Euro. Marie will sich gar nicht ausrechnen, wie lange sie dafür sparen müssten. Insemination. Mehr ist nicht drin.

Kurz darauf ist sie einen Tag lang schwanger und glücklich. Einen Tag später ist sie enttäuscht und wütend.

 

Inhaltsverzeichnis
Nach oben