Reportage: Wer sich langweilt, ist schon einen Schritt weiter
Wenn Langweile ein Gesicht hat, dann gehört es Steffen. Er sitzt in der letzten Reihe, die beliebt ist an diesem Ort: Arbeitsagentur Hamburg, Kurt-Schumacher-Allee 16, 2. Stock, Unterrichtsraum 2 des Berufsinformationszentrums (BIZ). Hier entscheiden sich Karrieren.
Eine bunte, brave Truppe ist zu Besuch: der 8. Klasse-Profilkurs "Natur und Technik" der Hamburger Stadtteilschule Niendorf, einer Gesamtschule neuen Typs. 17 Jungen und drei Mädchen, gut gelaunt. Nur einmal muss der Lehrer eingreifen: "Lass das einfach! Man benimmt sich hier nicht so!"
Es ist Hans-Jürgen Beneckes Klasse, die heute den Profiltag nutzt, um zusammen mit der für sie zuständigen Berufsberaterin das BIZ kennen zu lernen. Anschließend geht es zur Wanderausstellung "Faszination Offshore" im Schiffsbauch des Museumsschiffes Greundiek am Hamburger Sandtorkai.
Im BIZ ist Arbeiten und Forschen angesagt. Die Tische mit Monitor und eingelassener Computertastatur stehen in Halbkreisen angeordnet an den Fensterfronten an beiden Seiten des großen Saales. In den Regalen in der Mitte warten bunt beschriftete Aktenordner und Stapel von Broschüren darauf, von den jungen Leuten gegriffen zu werden. Jeder kann herkommen und sich über Berufe informieren. Man fühlt sich in die ruhige Arbeitsatmosphäre einer Universitätsbibliothek versetzt.
Gute Bewerbungen sind wichtig
Britta Kröpke, Berufsberaterin der Arbeitsagentur Hamburg, steht an der Tafel im mit den gleichen Tischen ausgestatteten Unterrichtsraum. Mit jugendlicher Stimme und einem Tonfall, der ihre norddeutsche Herkunft nicht verleugnet, erklärt sie verschiedene Grundbegriffe: duale Ausbildung, schulische Ausbildung, Hochschulstudium. Vieles wissen die jungen Leute bereits. Ein Finger geht mindestens hoch, wenn sie Fragen stellt. Eigentlich ist es ja noch so lange hin ist bis zum Ausbildungsstart. Dann fragt die Berufsberaterin, wann man sich denn bewerben muss. "Ein Jahr vorher", sagt Bettina. Was gehört zu einer Bewerbung? Steffens Arm geht hoch, kurzzeitig verschwindet das Desinteresse aus dem Blick: "Einen Lebenslauf". Mehr fällt dem kräftigen Jungen mit Brille und schwarzem T-Shirt aber nicht ein.
Der graue Himmel hängt tief über dem mächtigen Backsteinbau. Drinnen erstauntes Schweigen, als Kröpke vorrechnet, dass einige Firmen wahrscheinlich schon das jetzt anstehende Zeugnis bei der Bewerbung sehen wollen. Lehrer Benecke ist begeistert. "Hört genau zu", sagt er, "das nächste Zeugnis! Gut, wenn nicht nur ich das sage. Das nächste muss gut sein, das übernächste supergut!"
So früh wie möglich
Die Berufsorientierung durch die Arbeitsagenturen begann bisher meist am Anfang der vorletzten Schulklasse. Sönke Fock, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Hamburg, will früher ran. Er denkt an den demografischen Wandel und die Fachkräftebedarfsdiskussion. Er fordert Berufsorientierung flächendeckend und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Diese Dienstleistung der Bundesagentur möchte er generell schon ab der achten Klasse anbieten können, was trotz der einhundert Beraterinnen und Berater in seiner Agentur an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt.
16.000 junge Leute verlassen 2011 die Hamburger Schulen. Mehr als 14.000 Ausbildungsverträge schließen Hamburger Firmen pro Jahr. Im April zählte die Arbeitsagentur 5.160 Jugendliche, die mit ihrer Hilfe eine Ausbildungsstelle finden wollen. Das sind deutlich weniger, als die registrierten offenen Ausbildungsstellen, im Moment über 7.000. Die Chancen sind also gut. Man muss nur wissen, was man will.
Timo weiß das schon lange. Ein grimmiger Tiger ziert sein T-Shirt. Die karierten Hosen enden kurz unterhalb des Knies. Mit leuchtenden Augen berichtet der kleine, schlanke Junge, dass er Polizist werden will. "Das macht Spaß, immer unterwegs, mit einer Waffe umgehen", sagt er. Seinen Praktikumsplatz bei der Polizei im Herbst hat er schon sicher. Timo weiß auch, dass seine Bewerbung nur Erfolg haben wird, wenn er gut schreiben kann und gute Noten hat. "Ich bin schon viel besser geworden", sagt er.
Stärken der einzelnen herausarbeiten
"Es wird immer junge Menschen geben, die wir schwer über schulische Kriterien oder Berufsanforderungen erreichen können", sagt Fock, "bei ihnen gilt es, die Potenziale herauszuarbeiten, und die hat jeder. Sie können verschüttet sein, vielleicht Hobbies. An denen müssen wir ansetzen. Graffitimaler betrachteten wir nur als Sachbeschädiger, ohne zu bedenken, dass da auch ein Potenzial drin steckt."
Fock ist froh über die wichtigsten Fördermöglichkeiten für problematische Jugendliche, vor allem die Einstiegsqualifizierungen, die die Bundesregierung finanziert. Das sind betriebliche Praktika, die sehr oft in ein reguläres Ausbildungsverhältnis münden. Auch Ausbildungsbegleitende Hilfen sind ihm sehr wichtig. Auszubildende können sie in Anspruch nehmen, wenn sie Nachhilfe beispielsweise in Mathe benötigen.
Sandra schaut aus dem Fenster, dann wieder auf den Monitor ihrer eifrig tippenden Schulkameradin. Das schlanke, unauffällige Mädchen mit dem trotzigen Gesichtsausdruck weiß noch gar nichts. Sie hat noch keinen Praktikumsplatz, hat sich noch nicht beworben. Ihr künftiger Beruf scheint ihr so egal zu sein wie die Schule im Moment. Ihr Lehrer zuckt mit den Achseln: "Was sollen wir da machen?"
Natürlich wird es weiter junge Menschen geben, die keinen Berufseinstieg schaffen oder schaffen wollen. Fock begrüßt daher, dass sich jetzt das besondere Augenmerk von Bundesregierung und Arbeitsagenturen auf diese jungen Menschen richtet. "Manch einer braucht eben etwas länger, aber warum nicht auch mit 24 Jahren noch anfangen. Wenn die Bereitschaft des jungen Menschen dann da ist, gelingt auch in diesem Alter ein Ausbildungseinstieg."
Nach zwei Stunden bricht die Klasse zur Windpark-Ausstellung auf. Steffen wirkt immer noch gelangweilt. Er fläzt auf seinem Stuhl. Als er sich erhebt, wirkt er in Gedanken versunken. "Ich werde Koch", sagt er plötzlich, "das steht fest." Tatsächlich hat er sich schon lange gut informiert, macht demnächst bei einem renommierten Hotel ein Praktikum. Regelmäßig kocht er zu Hause. Der Junge weiß schon, was er will.
Wenn Langweile ein Gesicht hat, dann gehört es Steffen. Er sitzt in der letzten Reihe, die beliebt ist an diesem Ort: Arbeitsagentur Hamburg, Kurt-Schumacher-Allee 16, 2. Stock, Unterrichtsraum 2 des Berufsinformationszentrums (BIZ). Hier entscheiden sich Karrieren.
Eine bunte, brave Truppe ist zu Besuch: der 8. Klasse-Profilkurs "Natur und Technik" der Hamburger Stadtteilschule Niendorf, einer Gesamtschule neuen Typs. 17 Jungen und drei Mädchen, gut gelaunt. Nur einmal muss der Lehrer eingreifen: "Lass das einfach! Man benimmt sich hier nicht so!"
Es ist Hans-Jürgen Beneckes Klasse, die heute den Profiltag nutzt, um zusammen mit der für sie zuständigen Berufsberaterin das BIZ kennen zu lernen. Anschließend geht es zur Wanderausstellung "Faszination Offshore" im Schiffsbauch des Museumsschiffes Greundiek am Hamburger Sandtorkai.
Im BIZ ist Arbeiten und Forschen angesagt. Die Tische mit Monitor und eingelassener Computertastatur stehen in Halbkreisen angeordnet an den Fensterfronten an beiden Seiten des großen Saales. In den Regalen in der Mitte warten bunt beschriftete Aktenordner und Stapel von Broschüren darauf, von den jungen Leuten gegriffen zu werden. Jeder kann herkommen und sich über Berufe informieren. Man fühlt sich in die ruhige Arbeitsatmosphäre einer Universitätsbibliothek versetzt.
Gute Bewerbungen sind wichtig
Britta Kröpke, Berufsberaterin der Arbeitsagentur Hamburg, steht an der Tafel im mit den gleichen Tischen ausgestatteten Unterrichtsraum. Mit jugendlicher Stimme und einem Tonfall, der ihre norddeutsche Herkunft nicht verleugnet, erklärt sie verschiedene Grundbegriffe: duale Ausbildung, schulische Ausbildung, Hochschulstudium. Vieles wissen die jungen Leute bereits. Ein Finger geht mindestens hoch, wenn sie Fragen stellt. Eigentlich ist es ja noch so lange hin ist bis zum Ausbildungsstart. Dann fragt die Berufsberaterin, wann man sich denn bewerben muss. "Ein Jahr vorher", sagt Bettina. Was gehört zu einer Bewerbung? Steffens Arm geht hoch, kurzzeitig verschwindet das Desinteresse aus dem Blick: "Einen Lebenslauf". Mehr fällt dem kräftigen Jungen mit Brille und schwarzem T-Shirt aber nicht ein.
Der graue Himmel hängt tief über dem mächtigen Backsteinbau. Drinnen erstauntes Schweigen, als Kröpke vorrechnet, dass einige Firmen wahrscheinlich schon das jetzt anstehende Zeugnis bei der Bewerbung sehen wollen. Lehrer Benecke ist begeistert. "Hört genau zu", sagt er, "das nächste Zeugnis! Gut, wenn nicht nur ich das sage. Das nächste muss gut sein, das übernächste supergut!"
So früh wie möglich
Die Berufsorientierung durch die Arbeitsagenturen begann bisher meist am Anfang der vorletzten Schulklasse. Sönke Fock, Geschäftsführer der Arbeitsagentur Hamburg, will früher ran. Er denkt an den demografischen Wandel und die Fachkräftebedarfsdiskussion. Er fordert Berufsorientierung flächendeckend und zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Diese Dienstleistung der Bundesagentur möchte er generell schon ab der achten Klasse anbieten können, was trotz der einhundert Beraterinnen und Berater in seiner Agentur an die Grenzen seiner Kapazitäten stößt.
16.000 junge Leute verlassen 2011 die Hamburger Schulen. Mehr als 14.000 Ausbildungsverträge schließen Hamburger Firmen pro Jahr. Im April zählte die Arbeitsagentur 5.160 Jugendliche, die mit ihrer Hilfe eine Ausbildungsstelle finden wollen. Das sind deutlich weniger, als die registrierten offenen Ausbildungsstellen, im Moment über 7.000. Die Chancen sind also gut. Man muss nur wissen, was man will.
Timo weiß das schon lange. Ein grimmiger Tiger ziert sein T-Shirt. Die karierten Hosen enden kurz unterhalb des Knies. Mit leuchtenden Augen berichtet der kleine, schlanke Junge, dass er Polizist werden will. "Das macht Spaß, immer unterwegs, mit einer Waffe umgehen", sagt er. Seinen Praktikumsplatz bei der Polizei im Herbst hat er schon sicher. Timo weiß auch, dass seine Bewerbung nur Erfolg haben wird, wenn er gut schreiben kann und gute Noten hat. "Ich bin schon viel besser geworden", sagt er.
Stärken der einzelnen herausarbeiten
"Es wird immer junge Menschen geben, die wir schwer über schulische Kriterien oder Berufsanforderungen erreichen können", sagt Fock, "bei ihnen gilt es, die Potenziale herauszuarbeiten, und die hat jeder. Sie können verschüttet sein, vielleicht Hobbies. An denen müssen wir ansetzen. Graffitimaler betrachteten wir nur als Sachbeschädiger, ohne zu bedenken, dass da auch ein Potenzial drin steckt."
Fock ist froh über die wichtigsten Fördermöglichkeiten für problematische Jugendliche, vor allem die Einstiegsqualifizierungen, die die Bundesregierung finanziert. Das sind betriebliche Praktika, die sehr oft in ein reguläres Ausbildungsverhältnis münden. Auch Ausbildungsbegleitende Hilfen sind ihm sehr wichtig. Auszubildende können sie in Anspruch nehmen, wenn sie Nachhilfe beispielsweise in Mathe benötigen.
Sandra schaut aus dem Fenster, dann wieder auf den Monitor ihrer eifrig tippenden Schulkameradin. Das schlanke, unauffällige Mädchen mit dem trotzigen Gesichtsausdruck weiß noch gar nichts. Sie hat noch keinen Praktikumsplatz, hat sich noch nicht beworben. Ihr künftiger Beruf scheint ihr so egal zu sein wie die Schule im Moment. Ihr Lehrer zuckt mit den Achseln: "Was sollen wir da machen?"
Natürlich wird es weiter junge Menschen geben, die keinen Berufseinstieg schaffen oder schaffen wollen. Fock begrüßt daher, dass sich jetzt das besondere Augenmerk von Bundesregierung und Arbeitsagenturen auf diese jungen Menschen richtet. "Manch einer braucht eben etwas länger, aber warum nicht auch mit 24 Jahren noch anfangen. Wenn die Bereitschaft des jungen Menschen dann da ist, gelingt auch in diesem Alter ein Ausbildungseinstieg."
Nach zwei Stunden bricht die Klasse zur Windpark-Ausstellung auf. Steffen wirkt immer noch gelangweilt. Er fläzt auf seinem Stuhl. Als er sich erhebt, wirkt er in Gedanken versunken. "Ich werde Koch", sagt er plötzlich, "das steht fest." Tatsächlich hat er sich schon lange gut informiert, macht demnächst bei einem renommierten Hotel ein Praktikum. Regelmäßig kocht er zu Hause. Der Junge weiß schon, was er will.