Im Oldenburger Mehrgenerationenhaus wird nicht gewohnt. Eine unentbehrliche Anlaufstelle ist es trotzdem geworden, gerade für Kinder und Senioren. Das Haus lebt vom Engagement seiner Mitarbeiter.
Die Lage hat etwas Symbolisches: Zwischen einem Friedhof und einem Kindergarten liegt das Oldenburger Mehrgenerationenhaus, eine stattliche Villa inmitten einer Gruppe uralter Eichen. Sie geben dem Haus seinen Namen: "Sieben Eichen". Niemand wohnt darin - und doch ist es von morgens bis abends voller Menschen, jungen wie alten.
An der Wand hängt ein Stundenplan aus Metall, jedes Kärtchen steht für eine Gruppe, die sich trifft: Montags versammeln sich die Freunde des Kartenspiels, Mittwochvormittag dann "De Plattsnackers". Mittagessen für alle ist immer um 12.15 Uhr .
In Gesellschaft
Tobias, 7 Jahre alt und in der zweiten Klasse, hat gerade noch sein Schälchen mit Schokopudding gegessen. Jetzt packt er widerwillig sein Deutschheft aus. Stefanie, 25, wühlt in seinem Ranzen zwischen Salzstangen und Kritzeleien nach einem Bleistift, dann geht es los.
- Geh mal alle Formen durch. Ich?
- Tanze!
- Er?
- Tanz... Tanzt.
- Du?
- Tanzt!
- Und wie schreibt man das?
- Hmmm... Te-Ah-Nnn... Te-Sss-Te!
- Nicht ganz. Guck nochmal das Wort an.
Stefanie und ihre Kollegen Jürgen und Inka müssen viel Geduld haben. Einmal pro Woche kommen sie ins Haus und machen sich ehrenamtlich nützlich: Sie betreuen eine feste Gruppe von zehn Grundschülern, die jeden Tag hierher kommen. Für einige von ihnen ist das Haus die einzige Anlaufstelle. "Ich bin sonst immer allein zu Hause. Mama muss den ganzen Tag arbeiten und kommt erst um 10 nach Hause", erzählt eine Zweitklässlerin. Sie hat hier Gesellschaft - etwas, woran es auch vielen anderen hier zu Hause fehlt.
Unverzichtbare Ehrenamtliche
Es geht drunter und drüber, jemand rennt raus, Nudelsoße spritzt über den Tisch, zwei Jungen zanken sich. "Heute sind sie wirklich schrecklich", seufzt Inka Henke. Aber sie lächelt dabei. Die 66-Jährige ist eine von rund zwei Dutzend Rentnern, die ihren Ruhestand nicht nur in den eigenen vier Wänden verbringen möchten. Sie unterstützen die Festangestellten der "Sieben Eichen" bei ihrer Arbeit, leiten ehrenamtlich Computerkurse oder greifen den Schülern unter die Arme.
"Die Kinder finden immer, dass ich die Strengste bin. Aber erstaunlicherweise kommen sie trotzdem zu mir." Henke ist ihr Ehrenamt ans Herz gewachsen. Jeden Dienstag durchstöbert sie vorher die Supermärkte, um Grünzeug zu finden, mit dem die Kinder Kaninchen füttern können. Die Rentnerin berichtet außerdem: "Wir hatten schon Kinder, die wussten nicht, was ein Messer und was eine Gabel ist. Da müssen wir dann ein Stück weit mit erziehen."
Allein gelassen wird niemand
Es öffnet sich eine Tür und eine ältere Dame stakst unsicher und mit tieftraurigem Gesicht in den Raum. Sofort kümmert sich einer der Ehrenamtlichen um sie und erkundigt sich, was sie bedrückt. Auch das ist ein Merkmal des Hauses: Jeder (Erwachsene) kann kommen und gehen wann er will - aber wenn jemand fehlt oder den ehrenamtlichen Mitarbeitern etwas komisch vorkommt, wird nachgefragt. Wer hat Probleme mit wem? Wessen Eltern brauchen Hilfe in der Erziehung ihres Kindes? Was steckt hinter den Bauchschmerzen, die ein Mädchen immerzu plagen? Warum ist Frau Y. plötzlich nicht mehr zum plattdeutschen Abend gekommen?
Für diese Arbeit erhält jedes Mehrgenerationenhaus 40.000 Euro aus einem Aktionsprogramm der Bundesregierung. Das Geld stammt aus EU-Mitteln, dem Europäischen Sozialfonds (ESF) und kommunalen Kassen. Im nächsten Jahr sollen an 450 Standorten zusätzliche Beratungsangebote für Pflegebedürftige und ihre Angehörige eingerichtet werden.
Die kurzen Wege von der Kinderbetreuung bis zur Beratung für Menschen, die ihre Angehörigen pflegen ein paar Meter weiter, nur getrennt durch eine Küche - das sind große Vorteile, die solch eine Einrichtung nutzen kann. In Oldenburg geschieht dies auf jeden Fall. "Ich nehme ihn, und er nimmt mich", streitet sich der siebenjährige Miro mit seinem Tischnachbarn bei der Hausaufgabenkontrolle um Rentner Jürgen. Vielleicht ahnt er gar nicht, wie sehr das stimmt.
Das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser des Bundesfamilienministeriums gibt es seit 2006. Im Mittelpunkt steht die konsequente Förderung des Miteinanders von Menschen unterschiedlichen Alters. Die Aktivitäten und Dienstleistungen werden überwiegend von Ehrenamtlichen getragen.
Im Januar startete das Aktionsprogramm II mit inhaltlich neuen Schwerpunkten:"Alter und Pflege", "Integration und Bildung", "Haushaltsnahe Dienstleistungen" und "Freiwilliges Engagement". Jedes der nunmehr 450 Häuser wird mit einem jährlichen Zuschuss in Höhe von 40.000 Euro unterstützt. 30.000 Euro davon übernimmt der Bund mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Weitere 10.000 Euro kommen von Land oder Kommune.