Eine Replik auf Thilo Sarrazin
Von Ursula Weidenfeld
Thilo Sarrazin weiß es, wie immer, am besten: Europa braucht den Euro nicht. So heißt das neue Buch des ehemaligen Bundesbankvorstandes, ehemaligen Finanzsenators, ehemaligen Bahnmanagers, ehemaligen Finanzbeamten, das in dieser Woche erscheint. Doch so richtig traut sich auch Sarrazin nicht, jetzt das Ende der Gemeinschaftswährung zu fordern. Zwar wäre Europa ohne den Euro besser dran. Aber ihn jetzt aufzugeben, würde sehr, sehr teuer, sagt Sarrazin.
Also braucht Europa den Euro doch? Das war jedenfalls die These von Helmut Kohl und François Mitterand, von Jacques Delors und Jacques Chirac in den neunziger Jahren. Sie führten den Euro ein, damit das Gewicht Deutschlands in der Union nach der Wiedervereinigung nicht zu groß werden könne.
Sie vertraten die Ansicht, dass eine europäische Identität nur mit der Gemeinschaftswährung entstehen werde. Sie nahmen an, dass eine gemeinsame Währung auch die Wirtschaftsräume der Union angleichen würde. Sie gaben Europa eine gemeinsame Währung, weil sie eine gemeinsame europäische Identität seiner Bürger nicht erzwingen konnten.
Sie hatten Unrecht. Denn nun droht Europa wegen der Gemeinschaftswährung zu zerfallen. Der arme Süden sieht sich dem vermeintlich ungerechten Spardiktat des reichen Nordens ausgesetzt. Die Bürger des Nordens haben es satt, die Lasten zu schultern, die ihnen von den Bewohnern der südlichen Euroländer aufgebürdet werden. Das Sparen kommt aus der Mode just zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der nordeuropäische Begriff vom seriösen Wirtschaften endlich durchzusetzen schien.
Eine gemeinsame Identität? Die scheint weiter entfernt denn je. Und der Euro trägt einen guten Teil der Schuld daran.
Es ist aber noch schlimmer: Denn nicht nur die Vorzüge des gemeinsamen Wirtschaftsraums werden nun in Frage gestellt, Europa verblasst auch als positive Vision eines Zusammenlebens in Frieden, Demokratie und Freundschaft. Die Bürger Europas beklagen ein krasses Demokratiedefizit. Sie sind bestürzt darüber, wie wenig Einfluss sie selbst als Wähler oder über ihre Parlamente ausüben können. Klar, sie können Regierungen stürzen, und das tun sie auch. Acht europäische Regierungen haben im Zuge der Eurokrise schon aufgeben müssen, weil ihnen ihre Bürger nicht mehr trauen.
Doch das ist es dann auch schon. Auch die neuen Regierungen müssen sich einem Diktat von Kommissaren, Beauftragten und Finanzministern unterwerfen, das sie weder durch eine Europawahl, noch durch nationale Abstimmungen legitimiert sehen. Wenn sie - wie die extreme Linke in Griechenland - drohen, das nicht mehr zu tun, droht die Union zurück: Dann gibt es nämlich kein Geld mehr. Der Euro, der ein gemeinsames Verständnis von Europa schaffen sollte, hat Europa jetzt auf das reduziert, was es nach dem Willen Helmut Kohls niemals hätte werden dürfen: auf eine wirtschaftliche Notgemeinschaft.
Kein Land in Europa darf erwarten, dass es von den anderen dauerhaft alimentiert wird, wenn es sich den gemeinsamen Regeln nicht beugen will. Doch der Euro wirkt hier nicht mehr als Mittel, ein gemeinsames Europa zu fördern, eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Er wirkt als Zwangsinstrument, das in aller Dramatik zeigt, womit das Gemeinsame erkauft werden muss: mit dem Verlust der nationalen demokratischen Rechte.
Überzeugte Europäer sagen gerne, es seien immer die Krisen gewesen, die Europa am Ende vorangebracht hätten. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass Europa in seinen guten Zeiten zu Fortschritten nicht bereit war. Vielleicht stimmt es auch, dass Krisen die besten Zeiten sind, um sich von Gewohntem zu lösen. Doch das, was die Eurozone nun zusammenzwingt, ist eine Brachialkur. Man wird es den Griechen oder auch den Portugiesen nicht verübeln können, wenn sie sich dieser Behandlung eines Tages nicht mehr aussetzen wollen, wenn sie die Eurozone verlassen. Die kleinen, verzweifelten Länder im Süden können ohne den Euro besser leben. Und der Euro würde ohne sie auch besser leben.
Thilo Sarrazin sagt, dass Europa den Euro nicht braucht. Er hat Unrecht. Europa hätte den Euro tatsächlich nicht gebraucht, als er 1999 eingeführt wurde. Die Gemeinschaftswährung kam zu früh. Doch jetzt ist das leider anders. Fällt die Eurozone auseinander, fällt Europa auseinander.
Ursula Weidenfeld wurde 1962 in Mechernich geboren. Die Wirtschaftsjournalistin schrieb für die "Wirtschaftswoche" und war Ressortleiterin bei der "Financial Times Deutschland", später war sie stellvertretende Chefredakteurin des "Tagesspiegel". Weidenfeld erhielt 2007 den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik. Sie ist Mitbetreiberin der Webseite http://www.das-tut-man-nicht.de. Gerade ist ihr Buch "Gelduntergang. Wie Banken und Politik unsere Zukunft verspielen" erschienen, das sie gemeinsam mit Michael Sauga verfasst hat.