Die Welt retten in Kleinen

Warum der Trend zu guten Taten im Alltag politisch ist

 

 

Von Andreas Rinke

In der Politik sorgen nicht ausgewiesene Spenden immer wieder für Ärger. Hier besteht der Verdacht der Vorteilsnahme und darum Deklarationspflicht. Es gibt aber auch anonyme Spender, die der oft schwer atmenden Kommunalpolitik ganz einfach helfen wollen.

Was haben der Entwicklungshilfe-Verein "Löwe für Löwe", das Opfer eines Handtaschenraubs und die "Braunschweiger Tafel" gemeinsam? Eigentlich nicht viel. Außer, dass sie alle in den vergangenen Monaten finanzielle Zuwendungen von einem unbekannten Spender erhalten haben - nachdem zuvor die lokale Zeitung über sie berichtet hatte. Verpackt in einem schlichten Briefumschlag steckten zwanzig 500-Euro-Scheine mal unter einer Fußmatte, mal in einem Gesangbuch. 

Und weil der anonyme Spender immer wieder "zuschlägt", hat die Braunschweiger Lokalgeschichte mittlerweile weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt - ähnlich wie jener anonyme Wohltäter, der seit vielen Jahren jeden Januar der sächsischen Stadt Görlitz mehr als 500.000 Euro zur Verfügung stellt, mit denen etliche Projekte in der Stadt mitfinanziert werden können. 

Beide Fälle sind kurios. Aber für Aufruhr sorgen sie, weil sie in doppeltem Sinne dem Zeitgeist widersprechen. Zum einen wird in einer immer mehr nach ökonomischen Kriterien organisierten Welt zunehmend der Eindruck vermittelt, dass hinter jedem Verhalten Zweck und Absicht stecken müssen. Auch Firmen zahlen etwa beim Sponsoring für eine gute Sache - aber sie wollen dabei gerade nicht anonym bleiben. Tue Gutes und sorge dafür, dass darüber gesprochen wird, lautet vielmehr die Devise. 

Helfen ist nicht mehr das Ziel, sondern nur Mittel zum Zweck. Helfen gilt als vielversprechender Weg, um sich ein gutes Image zu verschaffen. Zum anderen bringt die zunehmend exhibitionistische Welt der Medien immer mehr Menschen dazu, sich ständig zu bekennen und mitzuteilen. Die Art der Außendarstellung ist längst wichtiger als der Inhalt geworden. 

Deshalb sind anonyme Spender - und dann noch solche mit systematischer Beharrlichkeit - eine Zumutung für die Gesellschaft, allerdings eine positive. Sie bewegen andere Menschen, gerade weil sie scheinbar ohne Hintergedanken Gutes tun. Das unerwartet Gute rührt tiefliegende Gefühle dabei ebenso stark wie das unerwartet Schreckliche. 

Menschen sind erschüttert und meist zu großer Hilfe bereit, wenn plötzlich Naturkatastrophen über andere hereinbrechen. Menschen reagieren mit tieferer Freude, wenn sie positive Momente im Alltag nicht erwartet haben. Offenbar gibt es dafür ein wachsendes Bedürfnis. 

Das erklärt die Existenz von Aktivisten, die das zweckfreie Engagement üben: So gibt es Gruppen wie "bookcrossing", die Bücher an öffentlichen Orten auslegen - zum Mitnehmen und Lesen. In etlichen Städten ist eine "grüne Guerilla" unterwegs, die an einigen der vielen hässlichen Straßenecken plötzlich kleine Beete anlegen und Blumen sprießen lassen. Es gibt kleine Graffitis auf der Straße, die völlig unbekannten Passanten und Pendlern einen guten Tag wünschen und die Laune heben. 

All dies sind bewusste Revolten gegen die Hässlichkeit der Asphaltschluchten, gegen die ökonomische Herrschaft im Alltag und gegen den Katastrophenhang unserer Gesellschaft. Die kleinen Taten können die großen Probleme der Welt sicher nicht lösen. Doch sie sind ungemein politisch. 

Gerade in dem sehr staatsgläubigen Deutschland sind sie stete Erinnerungen daran, dass Bürger selbst agieren können. Sie erinnern daran, dass nicht immer nur das Schlechteste passieren, sondern man das Beste auch bewusst tun kann.

Andreas Rinke, Jahrgang 1961, ist ausgebildeter Historiker und hat über das Schicksal der französischen "Displaced Persons" im Zweiten Weltkrieg promoviert. Er hat als politischer Beobachter bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und dem "Handelsblatt" gearbeitet. Schwerpunkte seiner Arbeit sind unter anderem die internationale und die europäische Politik. Er lebt als Journalist in Berlin.

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