Was heißt schon "Migrationshintergrund"?

 

Viele Kulturen in einem Land vereint sind ein gesellschaftlicher Reichtum

Von Nicol Ljubic

Der Journalist Nicol Ljubic hat seit seiner Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft, besuchte nur deutsche Schulen, spricht Deutsch akzentfrei. Aufgrund seines Nachnamens werde er aber nicht als vollwertiger Deutscher akzeptiert - ein Unding, findet er.

Ich heiße Ljubic, Nicol Ljubic. "Sie sind aber nicht von hier, oder?", sagt mein Gegenüber. Ich sage dann, dass ich in Kroatien geboren wurde, und er sagt: "Sie sprechen ja aber akzentfrei Deutsch!" Mein Gegenüber ist hörbar erstaunt. Warum aber sollte ich nicht akzentfrei Deutsch sprechen? Ich habe vom ersten Tag meines Lebens an die deutsche Staatsbürgerschaft und immer deutsche Schulen besucht. Ehrlich gesagt ist Deutsch leider die einzige Sprache, die ich akzentfrei spreche. Aber es bleibt dieser Nachname, Ljubic, der fast immer einer Erklärung bedarf, als müsste ein Deutscher Müller heißen oder Schmidt. 

Deutsche wie ich werden als "Deutsche mit Migrationshintergrund" bezeichnet; warum eigentlich? Warum werden wir nicht einfach als Deutsche bezeichnet wie andere auch? Warum ist es wichtig zu erwähnen, dass einer der Vorfahren, in meinem Fall der Vater, nicht-deutscher Herkunft ist? Und das, obwohl er seit einundvierzig Jahren im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist und sich längst als waschechter Deutscher fühlt. Warum wird ein Unterschied gemacht zwischen mir und, sagen wir, einem Thomas Müller? 

Gerade mein Beispiel zeigt, wie banal eine Debatte um Integration sein kann: Trüge ich den Nachnamen meiner Mutter, hieße ich Nicol Spauke, käme niemand auf die Idee, ich könnte "Deutscher mit Migrationshintergrund" sein. 

"Als was fühlst du dich? Als Kroate oder Deutscher?" Das ist oft die nächste Frage, die ich beantworten soll. Als müsste ich mich bekennen, mich von einem Teil meiner Biographie trennen, um als Deutscher akzeptiert zu werden. Als könnte die deutsche Gesellschaft nicht damit umgehen, dass es noch das "Andere" gibt. 

Leider wird das "Andere" überwiegend als Problem wahrgenommen und selten als Bereicherung. Debatten über Integration werden in Deutschland als Problemdebatten geführt. Dann geht es um Zwangsheirat, um Ehrenmorde, um Kopftücher. Kaum eine andere Debatte wird mit so viel Eifer und so emotional geführt. 

Es kommt mir vor, als habe der Verstand zwar begriffen, dass diese Gesellschaft Einwanderer braucht, das Herz aber noch nicht. Die Sorge vor dem "Anderen" ist immer noch so verbreitet, dass sich krude Thesen über ein Land, das sich angeblich abschafft, bis heute weit mehr als eine Million mal verkauft haben. Und dass etliche Politiker keine Gelegenheit auslassen, diese Sorge zu instrumentalisieren. Fußballer wie Mesut Özil, Sami Khedira und Mario Gomez spielen für die deutsche Nationalmannschaft, sie schießen sie ins Halbfinale - aber dann wird ihr Deutschsein in Frage gestellt, weil sie die Hymne nicht mitsingen. 

Es wird viel über die zehn Prozent der sogenannten "Integrationsverweigerer" debattiert, ohne Rücksicht auf die anderen 90 Prozent, denen Deutschland längst eine Heimat ist; die werden als Kollateralschaden verbucht. Die Folgen spüre auch ich: nämlich Enttäuschung über und Misstrauen gegenüber einer Gesellschaft, von der ich dachte, sie sei schon längst weiter. Was dazu führt, dass der nichtdeutsche Teil in mir eine Bedeutung bekommt, die er zuvor nie hatte, weil er für mich zu einem Symbol wird für eine moderne, offene Gesellschaft, wie ich sie mir wünsche.

Mein Beispiel ist eines von vielen. Mittlerweile leben fast 16 Millionen dieser so genannten "Menschen mit Migrationshintergrund" in diesem Land, unter ihnen neun Millionen Deutsche - diese Entwicklung ist in einer globalisierten Welt nicht aufzuhalten. Man sollte verstehen, dass es vom Reichtum einer Gesellschaft zeugt, wenn sie sich aus Bürgern verschiedenster Kulturen und Sprachen zusammensetzt, und das nicht nur, wenn diese Menschen Restaurants eröffnen und gut Fußball spielen. Und diese neuen Bürger sollten verstehen, dass Deutschland auch ihr Land ist und sie auch eine Stimme und die Möglichkeit haben, dieses Land zu prägen. Integration heißt im besten Sinne Partizipation. Nicht: geduldet werden und möglichst nicht auffallen, sondern: teilhaben und die Gesellschaft verändern. 

Manchmal reicht dafür ein Name. 

Meine beiden Söhne tragen auch den Nachnamen Ljubic. Sie hätten den deutsch-klingenden Namen ihrer Mutter haben können, aber das wollten wir nicht. Dieses Land soll sich daran gewöhnen, dass Deutsche auch Ljubic heißen können - obwohl sie nicht mal einen Migrationshintergrund haben. 

Nicol Ljubic: 1971 in Zagreb geboren. Als Sohn eines Flugzeugtechnikers in Schweden, Griechenland und Russland aufgewachsen. Er studierte Politikwissenschaften und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg. Seit 1999 lebt er als freier Journalist und Autor in Berlin. Zuletzt gab er die Anthologie "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!" heraus, in der deutsche Autoren mit "Migrationshintergrund" über ihre Erfahrungen in Deutschland schreiben. Darunter: Herta Müller, Zsuzsa Bank, Ijoma Mangold und Irene Dische. 

 

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