Von Georg Ehring, Deutschlandfunk
Die alarmierenden Forschungsergebnisse zum Gen-Mais aus Frankreich sollten Anlass sein, die Debatte über Gen-Food wieder aufzunehmen. Und dabei geht es nicht nur um Pflanzen und Umweltverträglichkeit, sondern auch um den eigenen Lebensmittelkonsum, meint Georg Ehring.
Es gibt kaum ein Thema, bei dem sich die Fronten so unversöhnlich gegenüberstehen, wie die Gentechnik bei Lebensmitteln. Viele Befürworter können die Ablehnung durch den überwiegenden Teil der Bevölkerung in Europa nicht nachvollziehen: Es gibt für sie keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen einem gentechnischen Eingriff und der konventionellen Zucht. Die Gentechnik sei nur gezielter und genauer, sie ermögliche deshalb oft bessere Ergebnisse.
Kritiker sehen dagegen in solchen Züchtungen über die Grenzen der Tier- und Pflanzenarten hinaus den Rubikon überschritten - mit unkalkulierbaren Folgen. Sicherheit könne es - wenn überhaupt - nur durch Versuche geben, die über mehrere Generationen hinweg laufen. Gentechnik werde von großen Konzernen ohne praktischen Nutzen aus Gewinnstreben in die Landwirtschaft gebracht, obwohl sie auf lange Sicht weder Erntemengen erhöhen noch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verringern könne. Gegner und Befürworter reden fast nur übereinander, kaum miteinander. In dieser Woche haben sie ein weiteres, besonders brisantes Thema bekommen.
Eine Gruppe, erklärtermaßen gentechnikkritischer Forscher, hat in einem angesehenen wissenschaftlichen Journal über einen Versuch berichtet, bei dem mit Gentechnik-Mais gefütterte Ratten Krebs entwickelten. Wenn das stimmt und vor allem, wenn es auch nur ansatzweise auf den Menschen übertragbar sein sollte, dann müsste man die betroffene Sorte sofort vom Markt nehmen - und vielleicht noch weitere. Die Ergebnisse der gentechnikkritischen Forscher passen so gar nicht in das, was die Wissenschaft zu dem Thema bisher hervorgebracht hat.
Immerhin sind auch wir Menschen seit vielen Jahren Teilnehmer eines Großversuchs mit genetisch verändertem Mais - nachteilige Folgen für die Gesundheit wurden nirgends gefunden. Doch vielleicht hat man nur nicht genau genug hingeschaut. Natürlich melden sich sofort Kritiker der Studie zu Wort - und das mit plausiblen Argumenten, die geprüft werden müssen, bevor die Verantwortlichen zu Konsequenzen schreiten: Die Versuche seien aufgrund mangelnder Offenlegung der Daten kaum nachvollziehbar, die statistischen Methoden zweifelhaft, die Zahl der Versuchstiere zu gering - und die ausgewählte Zuchtlinie von Ratten sei auch ohne Gentechnik-Futter extrem krebsanfällig, was die Aussagekraft der Ergebnisse einschränke.
Das alles darf die Lebensmittelaufsicht - in der EU oder in Deutschland - nicht von einer gründlichen und schnellen Prüfung der Studie abhalten. Wenn der Verdacht sich als plausibel erweist, muss die Europäische Union die Reißleine ziehen und Mais der Linie NK603 vom Markt nehmen. Gesundheitsschutz hat schließlich Vorrang, soweit das eigentlich Selbstverständliche.
Es bleibt die Frage, wie weit sich Europa überhaupt auf Gentechnik in Lebensmitteln einlassen will. Wer sich nicht konsequent von Öko-Produkten ernährt, tut dies vermutlich mehr als er ahnt. Es gibt kaum ein Thema, bei dem der Wunsch der Menschen und die Realität so weit auseinanderklaffen wie bei der Gentechnik in Landwirtschaft und Ernährung: Die weitaus überwiegende Mehrheit der Europäer lehnt sie ab, und trotzdem ist sie buchstäblich in aller Munde - meist auf dem Umweg über Tiermägen. Das Futter für Rinder und Schweine, Hühner und Puten enthält Mais und Soja aus dem Genlabor, aber auch Zusatzstoffe wie Vitamine für Lebensmittel werden durch gentechnisch veränderte Bakterien hergestellt.
Die alarmierenden Forschungsergebnisse aus Frankreich sollten ein Anlass sein, eine ehrliche Debatte hierüber wieder aufzunehmen. Und dabei geht es nicht nur um die Sicherheit von Pflanzenlinien, sondern auch die Umweltverträglichkeit von Monokulturen, auf denen nur Pflanzen gedeihen, die künstlich gegen Pestizide immun gemacht worden sind. Ein Teil der Ratten aus dem Langzeitversuch in Frankreich bekam gar kein Genfutter, sondern das dazugehörende und weitverbreitete Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat - und wurde ebenfalls krank.
Auch hier stellen sich viele Fragen. Denn Gentechnik und Pflanzenschutzmittel gehören zusammen, viele derzeit auf dem Markt befindliche Gentechnik-Produkte sind optimiert für industrielle Landwirtschaft in ganz großem Stil. Wer dies jedoch ablehnt, kommt allerdings nicht darum herum, auch über den eigenen Lebensstil nachzudenken, zumindest wenn dazu das tägliche Schnitzel oder Steak von billig - also mit Kraftfutter aus dem Genlabor - erzeugtem Fleisch gehört. 60 Kilo pro Kopf und Jahr in Deutschland: So viel Fleisch lässt sich nun mal nicht umweltverträglich erzeugen.