Viel getan und doch nichts geschafft?

Die wachsende Belastung am Arbeitsplatz

 

 

 

Von Claas Christophersen und Norbert Zeeb

Das Thema "Burnout" ist längst ein medialer Dauerbrenner: Quer durch alle Branchen führt zunehmende Arbeitsverdichtung zu immer mehr psychischen Überlastungen. Arbeitswissenschaftler, Gewerkschafter und inzwischen auch die Politik suchen nach Auswegen. Doch offenbar gehen die Ansätze oft am eigentlichen Problem vorbei.

Ein mäßig besetzter Linienbus schaukelt durch den Hamburger Westen. Die Arbeit von Busfahrerin Christine Krüger wirkt an diesem späten Vormittag eigentlich ganz entspannt. Doch in ihrem Job muss sie immer hoch konzentriert sein: immerhin trägt sie in jeder Schicht die Verantwortung für das Wohlergehen von durchschnittlich tausend Fahrgästen, die sie befördert. Und schließlich muss sie nicht nur unfallfrei fahren: stets sitzt ihr der eng getaktete Fahrplan im Nacken; sie muss Fahrkarten verkaufen, Auskünfte geben und auch bei genervten Passagieren stets freundlich bleiben - bis zu elf Stunden am Stück. - Gerade im Großstadtverkehr keine leichte Aufgabe.

"Als ich angefangen habe, habe ich gedacht, das lernst du nie, diese Hektik, Hamburg, Geld, Karten verkaufen, die ganzen Bezahl-Grenzen zu wissen. Aber schwuppdiwupp, auf einmal weiß man's. Man weiß auch manchmal, bei welchen Stellen man ein bisschen schneller fahren kann, was heißt schneller, wo man denkt, da holst du wieder ein bisschen was raus. Und manchmal denkst du, wird eh nichts mehr. Zum Beispiel Kellinghusenstraße, 22, da brauchst du nicht irgendwie schneller an die Ampel ranzufahren, das bringt nichts, die ist eh gleich wieder rot, oder da ist ein Stau, also macht man alles schön in Ruhe."

Alles schön in Ruhe machen - das schaffen längst nicht alle von Christine Krügers Kolleginnen und Kollegen.

"Ich sage ja, jeder ist anders. Ich bin eigentlich so 'n Typ, der vergisst halt schnell oder ärgert sich und sieht das alles ganz locker, aber es gibt ja auch viele, die sich da voll reinsteigern und denken: ja?, 'Ich wird' krank davon', und das hatten wir ja auch schon, Burnout - Kollegen, die das wirklich nicht gepackt haben."

In Krügers Busunternehmen vhh-pvg, einer Fusion aus den Verkehrsbetrieben Hamburg-Holstein und der Pinneberger Verkehrsgesellschaft, haben Geschäftsführung und Personalabteilung das Problem psychischer Überlastung erkannt und wollen unbedingt vermeiden, dass ihre Angestellten den seelischen Erschöpfungszustand erleiden. Und sie wollen ihre Arbeitsfähigkeit soweit wie möglich erhalten, erläutert Betriebsarzt Jürgen Tempel.

"Die Idee ist, dass man nicht nur anguckt, was wird verlangt von den Menschen, die die Arbeit machen, sondern dass man eben auch der Frage nachgeht, wie verändern sich eigentlich die Menschen, die die Arbeit machen, und wie kann man eine Balance herstellen zwischen dem, was verlangt wird - also Produktivität und Qualität der Arbeit - und dem, was Menschen brauchen, dass sie ihre Arbeit langfristig gut machen können."

Vor zehn Jahren initiierte der inzwischen 65-jährige Arbeitsmediziner zusammen mit seiner Kollegin Jutta Schramm und einem aufgeschlossenen Personalchef bei der vhh-pvg ein aus Finnland stammendes Arbeitsfähigkeitskonzept. Oberstes Ziel: möglichst alle Fahrerinnen und Fahrer sollten bis zur Rente zufrieden und damit produktiv in dem Unternehmen arbeiten können. Dazu gab es verschiedene Ideen, die Schritt für Schritt umgesetzt wurden: 

"Also, es hat mal angefangen vor zehn Jahren mit Wasser für alle und Obst für alle. Das gibt's heute noch, aber das Entscheidende ist eben: Die Führung stärken, die Arbeit gestalten, die Dienste - wir versuchen, sehr viele Wunschdienste in den verschiedensten Bereichen zu machen. Frauen werden mehr eingestellt. Ganz wichtig ist der Betreuungsgrad: Wie viele Mitarbeiter werden von einer Führungskraft betreut. Der soll auf hundert ankommen, ist auch kurz davor. Also, das kommt in Gang."

Eine der Führungskräfte bei der vhh-pvg-Unternehmensgruppe ist Betriebsleiter Matthias Stricker. Für die Anliegen seiner Mitarbeiter versucht er sich jeden Tag möglichst die Hälfte seiner Arbeitszeit frei zu halten. Und mindestens einmal im Jahr trifft sich Stricker mit seinen Fahrerinnen und Fahrern auch zu einem längeren, sogenannten "anerkennenden Erfahrungsaustausch".

"Da setzt man sich gemeinsam hin, und dann wird wirklich darüber gesprochen, was stört und belastet dich in deiner Arbeit, was macht dir besonders viel Freude. Wenn du Möglichkeiten hättest, etwas zu verändern, was wäre das? Das wird alles ausgewertet und gesammelt, das Ganze wird natürlich anonym behandelt, und für uns im Unternehmen ist das 'ne Riesenschatztruhe, weil diese ganzen Dinge da einfach auch benannt werden."

Bei der vhh-pvg-Unternehmensgruppe verstehen die Personalverantwortlichen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht nur als lästigen Kostenfaktor oder als Profitkennzahl, sondern als Menschen mit Belastungsgrenzen - nur noch ein glücklicher Einzelfall in der heutigen Arbeitswelt?

" … Arbeit im 21. Jahrhundert. Immer mehr soll in immer kürzerer Zeit erledigt werden" - "Burnout, die neue Volkskrankheit. In Deutschland leiden mehr als zehn Millionen daran." - " … Burnout-Hilfe. Fünfzehn Minuten Aufladen. Burnout, Ausgebranntsein. Das ist der Zustand der totalen Erschöpfung, der körperlichen, emotionalen und geistigen Erschöpfung durch Stress oder berufliche Überlastung."

Ob Fernseh-Dokumentationen und -Diskussionsrunden wie hier auf den Sendern Arte und Phoenix, Entspannungsvideos etwa der Firma Sync-Souls oder auch eine unüberschaubare Menge an Ratgeberliteratur - das Thema "Burnout" ist ein Dauerbrenner. Allerdings kritisiert der Münchner Arbeitssoziologe Nick Kratzer, dass Lösungsstrategien für seelische Erschöpfungszustände oft am eigentlichen Problem vorbeigingen.

"Das merkt man immer dann, wenn die Vorschläge individualisiert sind, wenn man sagt, dann sollen halt Beschäftigte mal "Nein" sagen. Der Witz dabei ist, wenn es diese Dilemma-Situation gibt, dann können die Beschäftigten zwar "Nein" sagen und damit vielleicht etwas für ihre Gesundheit oder ihr Sozialleben tun, haben aber im Beruf Probleme. Und andersrum: wenn sie versuchen, die ständig steigenden Anforderungen zu bewältigen, also nicht "Nein" sagen, kriegen sie daheim Probleme."

Aus zahlreichen wissenschaftlichen Interviews, die Kratzer mit Beschäftigten geführt hat, zieht der Arbeitsforscher den Schluss, dass eine seit Jahren zunehmende Arbeitsverdichtung quer durch alle Branchen zu psychischen Überlastungen führe.

"Es reicht einfach nie, man macht nie genug. Und das Zweite ist auch: Man ist nie mit sich selber zufrieden. Es ist ja sehr oft so, dass Beschäftigte praktisch höhere Anforderungen an sich selber haben, als der Arbeitgeber zum Teil an sie stellt, und sie diese Anforderungen nicht mehr erfüllen können. Die wollen ein gutes Produkt abliefern, die wollen den Kunden gut beraten, kriegen das aber in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit nicht hin."

Die Statistiken der Krankenkassen bestätigen die Befunde des Soziologen. So registrieren die Betriebskrankenkassen und die DAK seit Jahren steigende Fehltage wegen psychischer Erkrankungen. Zurzeit liegt der Anteil am Gesamtkrankenstand bei knapp 13 Prozent. Mit durchschnittlich dreißig Tagen fallen psychisch Beeinträchtigte dabei besonders lange aus. Doch liegt das wirklich an einer allgemein erhöhten Arbeitsverdichtung? Norbert Breutmann, Arbeitswissenschaftler beim Bundesverband der Arbeitgeberverbände, BDA, widerspricht.

"Wenn wir so OECD-Studien angucken, die sich über längere Zeiträume erstrecken, dann heißt das eigentlich, dass die Erkrankungszahlen gar nicht mehr geworden sind. Wir haben aber einen extrem höheren Bedarf an Behandlungen."

Ein Bedarf, so Breutmann, dem zurzeit nur ungenügend nachgekommen werde. So seien die Wartezeiten für eine Psychotherapie viel zu lang. Als ein reines Problem des Gesundheitssystems will freilich auch Arbeitgebervertreter Breutmann die psychische Belastung nicht abtun. Immerhin ist das Thema Arbeitsstress mittlerweile auch in der Politik angekommen. Im Juni erklärte Bundesarbeitsministerin von der Leyen:

"Wir sehen heutzutage, dass wir eine Flut von hochmodernen Kommunikationsmitteln haben. Das ist gut, das schafft viel Flexibilität, aber das kann auch überfordern, indem Menschen die Balance zwischen Erholungszeit und Arbeitszeit nicht mehr finden. Es muss ganz klare Regeln innerhalb eines Betriebes geben, was Handykultur, Mailverkehr angeht, und genauso, wie es Arbeitsschutz gibt, zum Beispiel den Bauhelm oder dass ein Elektrokabel nicht offen rumliegen darf, genauso muss es psychischen Arbeitsschutz geben, dass es eine klare Trennung gibt zwischen Freizeit, Erholung und Arbeitszeit. In der Freizeit sollte Funkstille herrschen."

Würde es die Belastung also schon reduzieren, wenn in Betrieben klare Vorgaben gelten würden, wann das Firmenhandy an- und wann es abgeschaltet werden muss? Norbert Breutmann vom BDA glaubt nicht, dass solche Regeln wirklich hilfreich wären.

"Also die Arbeitspsychologen, die ich dazu befragt habe, sind da eher skeptisch, weil wenn Sie meinetwegen Anlagenverantwortlicher in einer Chemiefirma sind, und Sie wissen, Ihre Anlage hat im Moment Probleme, wird am Wochenende weitergefahren, und ich höre dann nichts von meiner Anlage bis Montag, bis ich dann wieder am Platz bin, dann bin ich Montag sicherlich hochgradig verunsichert, wenn ich wieder in den Betrieb komme, in welchem Zustand ich dann meine Anlage vorfinde."

Ebenso skeptisch stimmt den Arbeitswissenschaftler der Vorschlag der IG Metall für eine "Anti-Stress-Verordnung", die die Gewerkschaft Ende Juni nachlegte, nachdem sich Ministerin von der Leyen bereits für klare Handy- und Mail-Regeln in Unternehmen ausgesprochen hatte. IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban:

"Wir wollen die bestehende Schutzlücke bei psychischen Belastungen schließen. Deshalb bekräftige ich an dieser Stelle unsere Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung. Ziel muss es sein, Gefährdungen der psychischen Gesundheit der Beschäftigten durch eine humane Arbeitsgestaltung zu vermeiden. In diesem Sinn muss der Verpflichtungsdruck auf die Arbeitgeber erhöht werden. Deshalb haben wir eine Ergänzung des Arbeitsschutzrechts durch eine Anti-Stress-Verordnung mit untersetzten technischen Regeln gefordert. Dies wäre ein wirksamer Beitrag für die Prävention angesichts der vielfach diskutierten Indikatoren für gestiegene Arbeitshetze und anderes."

Doch Ursula von der Leyen, die eine solche Verordnung zum Beispiel mit klaren Regeln für die Trennung von Arbeits- und Freizeit erlassen könnte, sieht - genau wie die Arbeitgeber - keinen weiteren gesetzlichen Regelungsbedarf bei arbeitsbedingten psychischen Belastungen. 

Tatsächlich gibt es bereits seit sechzehn Jahren im Arbeitsschutzgesetz ein Programm, mit dem auch psychische Belastungen in den Griff zu bekommen wären: die sogenannten "Gefährdungsbeurteilungen", die jeder Betrieb für jeden Arbeitsplatz vornehmen muss. Dabei sollen typische Gesundheitsgefährdungen - körperliche wie psychische - erfasst und Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Das ist geltendes Recht, hört sich auch gut an - wird nur viel zu wenig umgesetzt. Nach einer Betriebsrätebefragung des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung führen insgesamt nicht einmal die Hälfte der Unternehmen Gefährdungsbeurteilungen überhaupt durch, und lediglich ein Drittel der Unternehmen mit diesen Beurteilungen erfasst auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Ein Armutszeugnis für die Arbeitgeber? Norbert Breutmann:

"Große Unternehmen sind zu hundert Prozent mit ausreichenden Gefährdungsbeurteilungen letztendlich in jeder Statistik auffällig. Wo wir sicher Schwierigkeiten haben, ist in kleinen und mittelständischen Unternehmen, die letztendlich sich hier der Verpflichtung nicht ganz gebeugt haben, dass sie das Arbeitsschutzgesetz immer noch nicht vernünftig umgesetzt haben. Das ist für uns auch eine Herausforderung, hier unsere Mitglieder zu überzeugen, dass das sinnvoll ist, auch für sie was bringt und natürlich auch eine Notwendigkeit ist, um hier letztendlich auch rechtssicher zu agieren."

Doch selbst wenn es gelänge, die bestehenden gesetzlichen Regelungen besser durchzusetzen, könnte dies die Ursachen für den hohen Druck, unter dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer heute stehen, wirklich beseitigen? Zwar wurden in den letzten beiden Jahrzehnten Arbeitsvorgaben und Hierarchien in den Betrieben reduziert. Doch zugleich erwarteten die Anteilseigner - wie etwa große Aktionäre - immer höhere Renditen, und das bei verschärfter internationaler Konkurrenz. Leidtragende dieser Entwicklung seien die Beschäftigten, sagt Arbeitssoziologe Nick Kratzer.

"Wir gehen davon aus, dass etwa seit Beginn der neunziger Jahre sich in den Unternehmen was ziemlich Entscheidendes gewandelt hat, nämlich dass eine Steuerung von Arbeit, die vorher an der Kapazität angesetzt hat, also indem zum Beispiel Zeitmengen bewirtschaftet wurden, umgedreht wurde, und jetzt geht's um's Ergebnis. Jetzt wird vor allem das Ergebnis gesteuert, und die Frage, welche Ressourcen dafür zur Verfügung stehen, ist quasi zweitrangig."

Einer, der den Stress in den Betrieben jeden Tag hautnah zu spüren bekommt, ist der Hamburger Gewerkschaftssekretär Rajko Pientka von der IGBCE, der Arbeitnehmerorganisation für die Bergbau-, Chemie- und Energiebranche.

"Also aus meiner eigenen täglichen Arbeit kann ich sagen, dass das Thema Stress eigentlich überall ein Thema ist. Also das sind keine Einzelphänomene, und das sind auch keine Phänomene, die sich nur in bestimmten Bereichen widerspiegeln, sondern wir haben das sowohl in der Produktion als auch in den administrativen Bereichen. Und wir haben immer häufige Klagen über das Betriebsklima, was ein deutliches Indiz ist für verschärfte Bedingungen, weil sich natürlich mit erhöhtem Druck dann auch Sachen entladen, die bei einer gewissen entspannten Arbeit einfach nicht auftreten."

Wie Arbeitsforscher Kratzer vermutet auch der 36-jährige Pientka als Grund für den gestiegenen Stress die Orientierung der Unternehmen an Finanzvorgaben, also am Ergebnis.

"Wenn ich jetzt in meine Unternehmen gucke, dort werden Zielzahlen auch direkt den Beschäftigten vermittelt, indem auf Betriebsversammlungen beispielsweise die Zielzahlen des Unternehmens dokumentiert und dargestellt werden und dann auch gleichzeitig gesagt wird -ich hab ein Unternehmen beispielsweise - : 'Wir erkennen an, dass es hier zu einer Leistungsverdichtung kommen wird, aber die Aktionäre wollen in den nächsten Jahren gerne eine Dividende von achtzehn Prozent bzw. eine Rendite von achtzehn Prozent. Und das heißt für uns eigentlich eine Produktionssteigerung von X Prozent. Und wir müssen mal gucken, wie wir das hinkriegen, aber die Zahl ist gegeben, ansonsten wird hier nicht weiter produziert.' Also das gibt es schon."

Ein typisches Beispiel für den täglich steigenden Arbeitsstress in Rajko Pientkas Gewerkschaftsbezirk ist die Sasol Wax GmbH. Direkt am südlichen Ufer des Hamburger Hafens, mit Blick auf die riesige Baustelle der Elbphilharmonie, werden hier Paraffine, also Wachs zum Beispiel für Kerzen, und Vaseline für zahlreiche Medizin-Erzeugnisse produziert.

"Ja, also ständiges Wachstum kann man eigentlich sagen. Also wir haben für die nächsten drei vier Jahre, haben wir relativ viele Entwicklungsprojekte."

Vor dem Fenster von Antonio Lagos Büro verlaufen die großen Rohre, durch die das flüssige Paraffin gepumpt wird. Der 55-Jährige ist seit zehn Jahren Betriebsratsvorsitzender bei Sasol Wax - und beileibe nicht auf Krawall gebürstet. Wenn er von den Plänen seiner Firma spricht, sagt er mit unüberhörbarem Stolz "Wir". Immer noch. Obwohl er in den letzten vierzehn Jahren drei große Sparrunden in der Firma miterlebt hat. Von den ursprünglich bis zu 600 Arbeitsplätzen wurden so immerhin 70 abgebaut. Und zugleich erhöhte sich der Profitdruck.

"Einerseits reduziert man Personal, andererseits möchte man aber mehr Mengen. Jede Tonne, die wir mehr verkaufen, bedeutet auch mehr Gewinn. Mit weniger Personal mehr zu schaffen, das ist sowieso schon gegeben. Denn was bisher zehn gemacht haben und dann nur noch acht machen, ist klar, diese zwanzig Prozent muss ich auf die verbleibenden acht ja verteilen. Also das kommt dazu, und darüber hinaus muss noch mehr am Markt praktisch erobert werden, so dass wir mehr Tonnen pro Jahr haben, als wir eh mit zehn gemacht haben."

Eine verhängnisvolle Stressspirale für die verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

"Also in einem Jahr haben wir drei Fälle gehabt von Burnout, und das hatten wir kein Jahr davor. Aber die Verdachtsfälle, die da sind und für die wir jetzt auch was tun müssen, wir müssen verhindern, dass die Kollegen - also wirklich - bis zu den Grenzen kommen und ausfallen, die sind relativ hoch. Also ich rede von sechs Kollegen, die dort betroffen sein könnten. Und es finden jetzt auch aktuell Gespräche statt mit denen, um zu erforschen, ob das …, manchmal liegt so etwas auch im privaten Bereich."

Und hier liegt auch einer der zentralen Gründe, warum man der wachsenden psychischen Belastung in der modernen Arbeitswelt so schwer beikommen kann. Nicht alle psychischen Belastungen, die sich während der Arbeitszeit zeigen, sind das Resultat inhumaner Arbeitsbedingungen. Und: Psychische Belastungen lassen sich nicht objektiv messen; was für den einen unerträglich ist, steckt die andere locker weg. Für den Arbeitssoziologen Nick Kratzer ist jedenfalls klar: Krank machendem Arbeitsstress kann man langfristig nicht allein vorbeugen, indem die Geschäftsführung wie bei Sasol Wax zur Entspannung einen Masseur einstellt.

"Ich habe nichts gegen Gesundheitsförderung, wie sie in Unternehmen jetzt betrieben wird, ich finde das völlig in Ordnung. Ich glaube nur nicht, dass es reicht. Also ich glaube, es muss darum gehen, und das wäre die strukturelle Maßnahme, mit Beschäftigten zusammen diese Frage: Was ist leistbar, was ist noch leistbar, was ist unter welchen Bedingungen leistbar, immer wieder zu stellen und im Betrieb zu verhandeln."

Dafür braucht es freilich Führungskräfte, die ihre Angestellten ernst nehmen und wertschätzen. Betriebsratschef Antonio Lago von Sasol Wax zum Beispiel erinnert sich noch an den "Alten", den Hamburger Geschäftsmann, dem die Firma gehörte, bis sie 1995 dem südafrikanischen Sasol-Konzern einverleibt wurde. Der "Alte", erzählt Lago, ging an besonders heißen Tagen durch den Betrieb und drückte allen Beschäftigten etwas Geld in die Hand, damit sie abends mit ihren Partnern etwas essen oder trinken gehen konnten. Anerkennung für Arbeit unter schwierigen Bedingungen - warum, fragt Lago, sollte das heute eigentlich nicht mehr möglich sein?

"Ich bin der Meinung, dass egal, ob das Wetter gut ist oder draußen: Wichtig ist, dass wir Menschen bleiben und dass wir die Menschen so wertschätzen, wie sie es verdienen, und sie nicht einfach nur als Nummer sehen und sagen: 'Er kriegt ja dafür sein Geld, also hat er hier, wenn das kalt ist oder wenn das warm ist, hier zu arbeiten und seine Leistung zu erbringen.' Natürlich ist das so, aber man kann das würdigen, und das ist das, was ich häufig vermisse."
 

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