"Sie müssen nicht jeden Dreck kaufen"

Experten: Kunden können für bessere Arbeitsbedingungen in Textilbranche sorgen

 

 

 

Zwei brennende Fabriken mit 110 Toten bringen die Textilproduktion in Bangladesch in die Schlagzeilen: Hier wurde auch Kleidung produziert, die auf dem deutschen Markt landet. Solche Sicherheitsmängel sind keine Ausnahme, sondern Alltag. Währenddessen suchen die Behörden weiter nach Ursachen und Verantwortlichen für die Brände.

Jessmin Begum arbeitet im Akkord: Jede Minute muss sie zwei Kragen an Hemden nähen, 120 in der Stunde. "Wenn ich kleine Fehler mache, dann beschimpft mich der Aufseher", erzählte sie schon 2010 im Deutschlandradio Kultur. Seitdem hat sich wenig geändert an den Arbeitsbedingungen in Bangladesch. Jeden Tag arbeitete Begum 12 bis 14 Stunden, mit Überstunden verdiente sie umgerechnet 50 Euro im Monat.

So wie Jessmin Begum geht es vielen Textilarbeitern in Bangladesch, manche verdienen sogar noch weniger als sie: Bei 28 Euro liegt der monatliche Mindestlohn in der Textilbranche. Bangladesch ist einer der größten Textilhersteller weltweit: Kleider und Wäsche machen um die 80 Prozent des Exports aus, mit einem Wert von jährlich 20 Milliarden US-Dollar. Westliche Mode-Unternehmen lassen dort produzieren: C & A, Wal-Mart, H & M und Tesco, aber auch Ikea und Carrefour. Kleider müssen billig sein, wenn sie auf dem hart umkämpften Markt eine Chance haben wollen. T-Shirts für drei Euro und Jeans für 15 Euro sind keine Seltenheit im Mode-Discount. Und weil die Konzerne den Preis für das Material nicht mehr senken können, tun sie es bei den Löhnen - und auf Kosten der Sicherheit.
 

Kämpfer für Arbeitsrechte leben gefährlich

Die Arbeitsrechtsexpertin Sandra Dusch Silva von derChristlichen Initiative Romero, die sich für Arbeitsrechte in Entwicklungsländern einsetzt, sagte im Deutschlandfunk: "In vielen Fabriken fehlen einfach Notausgänge, Brandmeldesysteme existieren nicht, Notbeleuchtung, Feueralarm, alles funktioniert nicht ausreichend, und deswegen kommt es immer wieder zu Bränden." Notausgänge sind oft versperrt - entweder, weil der Platz anderweitig benötigt wird oder damit die Belegschaft während der Schicht nicht den Arbeitsplatz verlässt.


Wer sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzt, lebt in Bangladesch gefährlich. Im April verschwand der Arbeitsaktivist Aminul Islam, zu dem Arbeiter mit ihren Sorgen kamen - wegen nicht gezahlter Löhne, brutaler Vorarbeiter und miserabler Arbeitsbedingungen. Wenige Tage später wurde er tot aufgefunden - mit Folterspuren. Bis heute ist ungeklärt, wie er ums Leben kam.
 

Die Macht des Kunden

Experten betonen, dass die Verantwortung für faire Kleidung nicht nur bei den Herstellern liege, sondern in erster Linie bei den Kunden. Sandra Dusch Silva: "Selbst wenn man da höhere Standards einhalten würde, müsste das Kleidungsstück nicht unbedingt teurer werden. Aber es ist schon auch die Verantwortung des Konsumenten, bei T-Shirts, die drei Euro kosten, noch mal genauer hinzuschauen." Ludger Heidbring, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Kiel, sieht darin einen entscheidenden Impuls für die Hersteller. Im Deutschlandradio Kultur sagte er: "Der Konsument ist ein Marktfaktor, und entsprechend werden Unternehmen dann auch ihre Produkte und Produktstandards und auch Sicherheitsstandards im Industriebereich ändern."

Darauf verweist auch der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), der für die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Fabriken in Entwicklungsländern besucht hat. 
Im Deutschlandfunk sagte Blüm: "Wenn die Ausbeuter keine Profite mehr machen können, ist das Geschäft ganz schnell am Ende. Und der Kunde ist König. Sie müssen nicht allen Dreck kaufen." Blüm sprach von einer "Olympiade der Globalisierung: Der billigste gewinnt." Zwar entsprächen die Bedingungen in vielen Fabriken offiziell den Vorgaben der Organisation, aber: "Das Papier ist ungeheuer geduldig, deshalb ist die Internationale Arbeitsorganisation, die ja für Arbeitsbeziehungen zuständig ist, das ist ein Papiertiger. Die bedruckt Papier, die veranstaltet Konferenzen, um die Wirklichkeit kümmert sie sich wenig."

 

Polizei sucht Besitzer der abgebrannten Fabrik

In Bangladesch laufen währenddessen die Ermittlungen nach dem verheerenden Brand in der Textilfabrik mit 110 Toten in der Nähe der Hauptstadt Dhaka. In der Fabrik ließ auch das deutsche Modeunternehmen C & A produzieren. C & A hat ein internationales Brandabkommen nicht unterschrieben, für das sich die Kampagne für saubere Kleidung und die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einsetzen. Der US-Modekonzern PVH, dem Modemarken wie Tommy Hilfiger und Calvin Klein gehören, trat im Frühjahr bei, Tchibo im September.


Die Polizei in Bangladesch sucht den Besitzer der Fabrik. Sie will ihn unter anderem zu den Vorwürfen befragen, nach denen Bauvorschriften bei der neunstöckigen Fabrik nicht eingehalten wurden. Der Polizei liegen auch Berichte vor, nach denen Manager trotz des Feuers den Arbeitern verboten hätten, das Gebäude zu verlassen. So sei den Arbeitern gesagt worden, es handele sich um eine Brandschutzübung. Für heute hat die Regierung von Bangladesch im ganzen Land Trauerbeflaggung angeordnet. Zudem verfügte sie per Dekret, dass die rund drei Millionen Arbeiter in der Textilbranche einen Tag lang nicht arbeiten müssen.

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