Sushi in Deutschland, Würstchen in Thailand, Pizza überall: Die Globalisierung der Küchen bringt zwar viel Abwechslung, aber ist das auch gesund?
Dass die Basis des Familiengeschäfts einmal roher Fisch auf kaltem Reis sein würde, das hätte der Großvater sicher nicht geglaubt. Für die Enkel jedoch war die Sache gleich klar, als sie vor fast zehn Jahren in einem kalifornischen Supermarkt standen. »Sushi – da wussten wir sofort, das ist ein cooles Produkt. Das wird in Deutschland funktionieren«, sagt Tom Hörnemann, der gemeinsam mit seinem Bruder Tim Geschäftsführer von Natsu Foods in Neuss ist. Etwa eine Million Sushis produziert Natsu pro Woche, nach eigenen Rezepten zusammengestellt und von japanischen Maschinen gerollt. Längst beliefern die Brüder auch die Frischetheken von Real, Edeka und Rewe.
Die Hörnemanns stellen in der dritten Generation Lebensmittel her. Wie sich der Geschmack der Deutschen verändert hat, spiegelt sich in der Familiengeschichte. »Unser Großvater hat Wurst hergestellt«, sagt Tom Hörnemann. »Und unser Vater hat in den Achtzigern Cheeseburger für Supermärkte produziert.« Er selbst und sein Bruder bereisten in ihrer Jugend die ganze Welt. »Da haben wir gesehen, was in anderen Ländern gegessen wird – und ein Gespür dafür bekommen, was in Deutschland ankommen könnte.« Zum Beispiel Sushi.
In Deutschland ist japanisches Essen mittlerweile genauso normal wie der örtliche Italiener, Grieche oder Thailänder. In China wird bayerisches Bier getrunken, in Bayern australischer Wein. In Vietnam isst man deutsche Wurst und spült mit US-Softdrinks nach. Die ganze Welt an einem Tisch: Die globalisierte Küche ist nahezu überall angekommen.
Übergewicht durch Fleisch und Pizza
Was das für die Ernährungsgewohnheiten der Weltbevölkerung bedeutet, kann man bisher nicht genau sagen. Wenig deutet darauf hin, dass der Mensch dank der Globalisierung weltweit gesünder würde. Im Gegenteil: Laut Statistiken der WHO lebt mittlerweile die Mehrzahl der Menschen in Ländern, in denen Übergewicht ein größeres Gesundheitsproblem darstellt als Unterernährung. »Globesity« oder »Globadipositas« hat sich in Schwellen- und Entwicklungsländern ausgebreitet. In Mexiko, Brasilien oder Indien steigt nicht nur die Zahl der Übergewichtigen, sondern auch die der Diabetes-2-Erkrankungen. Für manche Epidemiologen steht fest: An der Globalisierung des Fettsuchtproblems haben die internationalen Ernährungsgewohnheiten einen großen Anteil.
Dabei habe die Welt gerade eine historisch einmalige Chance, sagen Ernährungsmediziner und Ökologen – nämlich so gut und gesund zu essen wie nie zuvor. Gerade erlebten die Menschen die »dritte Welle der Globalisierung« ihrer Küchen, sagt Marin Trenk, Professor für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er erforscht international die Esskultur und ihre Veränderungen. Vieles von dem, was heute als typische Landesküche gilt, ist das Produkt der ersten Globalisierungsphase.
Den nächsten Globalisierungsschub lösten dann die Kolonien aus. »Die Siedlerkolonien Spaniens waren Küchenlaboratorien, mit Cross-over und Fusion«, so Trenk. Die traditionelle Küche Mexikos etwa verdanke ihre Vielfalt der Experimentierfreude jener Zeit. Ähnliches gelte für Kambodscha, Vietnam oder Laos, wo der Einfluss der französischen Küche bis heute spürbar ist.1492 löste die Entdeckung Amerikas den bis dahin größten kulinarischen Umbruch aus. Viele indianische Kulturpflanzen erreichten die Alte Welt, Haustiere und hiesige Pflanzen umgekehrt die Neue. »Columbian exchange«taufte der amerikanische Historiker Alfred Crosby in den 1970er Jahren diesen Austausch. »Das hat die Küchen in Europa massiv verändert«, sagt Trenk. Erst dadurch konnte sich die Tomate in Italien etablieren, die Paprika in Ungarn und die Chili in Südostasien. In Europa wurde die Kartoffel heimisch, in Afrika verdrängte Mais die bisherige Nummer eins, die Hirse. Für die Gesundheit der Weltbevölkerung war dieser erste Globalisierungsschub ein Segen.
Die aktuelle Globalisierungswelle begann in Deutschland bereits vor mehr als 50 Jahren. Gastarbeiter führten die Mittelmeerküche ein, italienische oder griechische Restaurants brachten einen Hauch von Exotik in Kleinstädte und auf Speisepläne. Asiatische Küchen folgten. Allerdings veränderten sie sich durch die Globalisierung, sagt der Ethnologe Trenk. Asiatische Gerichte würden hier dem deutschen Gaumen angepasst: Für Fleischgerichte steht nur Filet auf der Karte, gewürzt wird weniger scharf, dafür gibt es Soßen mit Sahne. Trenk spricht von einer »Selbstbanalisierung« der Küche. In Asien, etwa in Thailand, passiere Ähnliches mit der Wurst, allerdings etwas kreativer. Dort werden zum Beispiel die zwar beliebten, aber eher geschmacksneutralen Frankfurter Würstchen gern als Salat serviert – verfeinert mit Limette, scharfen Gewürzen und Seafood. »Plötzlich schmeckt auch so ein fades Würstchen spannend und typisch thailändisch«, sagt Trenk.