"Den Scheinwerfer auf Prostitution richten"

Die Union will strengere Regeln für Sexarbeit. Sara Steinert und Sebastian Pfeffer sprechen mit der stellv. Fraktionsvorsitzenden Nadine Schön über Sex-Tourismaus, den Sinn von Kontrollen, Gesundheitschecks und Mindestalter.

 

 


The European: Frau Schön, Sie haben kürzlich gesagt, Deutschland sei Dank des laschen Prostitutionsgesetzes von 2002 zu einem „Mekka für Sextourismus“ geworden. Wie meinen Sie das?
Schön: Zum einen bezieht sich das auf die Freier, die gezielt nach Deutschland kommen, weil hier alles möglich ist. Besonders in Grenzregionen merkt man den Sextourismus. Das geht soweit, dass es Agenturen gibt, die Sexreisen nach Deutschland anbieten. Wir sind ein Tourismusland – aber diese Form von Tourismus wollen wir sicher nicht.

The European: Und zum anderen?
Schön: Seit Öffnung der Grenzen hat insbesondere der Zuzug junger Frauen aus Ostereuropa sehr stark zugenommen. Wenn junge Menschen nach Deutschland kommen, weil sie sich hier eine bessere Zukunft versprechen, dann stelle ich mir das lieber für andere Bereiche vor – nicht in der Prostitution. Besonders, wenn sie unfreiwillig ist: Da werden junge Frauen von ihren Familien nach Deutschland geschickt, um Geld zu verdienen und erst hier wird ihnen klar, in welchem Bereich sie eigentlich arbeiten sollen.

The European: Vielleicht ist auf der anderen Seite der Grenze die Dunkelziffer einfach extrem hoch?
Schön: Wenn ich als Freier zu einer Prostituierten gehe, mache ich das doch lieber dort, wo ich nicht Gefahr laufe, mich strafbar zu machen. Dazu kommt, dass es bei fehlenden gesetzlichen Regelungen viel schwerer für die Polizei ist, Fälle von Zwangsprostitution aufzudecken.

The European: Und schärfere Gesetze würden wirklich helfen?
Schön: Es muss für die Ordnungs- und Strafverfolgungsbehörden möglich sein, genauer hinzuschauen. Wir wollen mehr Licht ins Dunkel bringen, quasi den Scheinwerfer auf diesen Bereich richten. Nur so können wir erfahren, wer, wieso und mit welchem Hintergrund dort arbeitet und eventuell auf Hilfe angewiesen ist

„Es geht nicht darum, die Frauen auf den Kopf zu stellen“

The European: In einem Eckpunktepapier fordern Sie unter anderem die Möglichkeit, Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen.
Schön: Der Kern des Gesetzes ist nicht die Freierstrafbarkeit. Sie beschränkt sich nur auf die Fälle, wo es für einen Mann wirklich evident ist, dass es sich um Zwangsprostitution handelt.

The European: Die Frage ist doch, ob man festlegen kann, wann jemand eine Zwangslage bewusst ausnutzt. Die Opposition argumentiert, dass Freier durch solch eine Regelung als Informanten verloren gehen würden.
Schön: Derjenige, der informiert, sollte von der Strafbarkeit befreit sein. Das hat man schließlich auch in anderen Bereichen, in denen vorausgesetzt wird, dass Wissen und Wollen vorhanden sind – gängige Begriffe aus dem Strafrecht –, die auch hier Anwendung finden können. Wir wollen auch nicht moralisieren und jeden Freier verbannen, der zu einer Prostituierten geht. Aber ich will, dass wir denjenigen helfen, die ausgebeutet werden. Wichtiger sind dafür ohnehin eine Anmeldepflicht und ein regelmäßiger Gesundheitstermin.

The European Das wäre ein ziemlich großer Eingriff in die Privatsphäre.
Schön: Es geht nicht darum, die Frauen auf den Kopf zu stellen, sondern die Möglichkeit zu schaffen, außerhalb der Szene Kontakt zu einer neutralen Stelle zu haben. Wenn das eine Pflicht ist, kann auch kein Bordellbetreiber sagen: Meine Prostituierten nehmen daran nicht teil. Er muss dann sicherstellen, dass diese Termine wahrgenommen werden. Anmeldepflicht und medizinische Untersuchungen sind die zwei Mechanismen, die am meisten Licht ins Dunkel bringen können.

The European: In einem so auf Diskretion bedachten Gewerbe „Licht ins Dunkel“ bringen zu wollen, scheint intuitiv realitätsfern. Da trägt man doch eher Kapuze.
Schön: Unter der Kapuze versteckt sich da keiner, das stellt man sich immer nur so vor…

The European: … aber die Wenigsten wollen ihren Namen in diesem Kontext in der Zeitung lesen.
Schön: Natürlich ist Prostitution ein sensibler Bereich. Kontrollen müssen unter Achtung der Menschenwürde ablaufen und mit hohen Datenschutzauflagen versehen sein. Wenn eine Prostituierte aus dem Gewerbe aussteigt, sollte ihr künftiger Arbeitgeber nicht wissen, was sie vorher gemacht hat. Die Hilfsorganisation, mit denen wir gesprochen haben, sagen aber, dass die Anmeldepflicht wichtig ist, um überhaupt einen Überblick zu bekommen, wer in diesem Bereich tätig ist.

The European: Halten Sie es für realistisch, dass auch Zwangsprostituierte diese Anmeldung wahrnehmen? Das bleibt im Dunkeln!
Schön: Ein echter Dunkelbereich ist gar nicht vorhanden, weil jede Prostituierte, die von einem Freier gefunden wird, auch von der Polizei gefunden werden kann. Wenn die Polizei kontrolliert und jemand seine Anmeldekarte dabei hat, ist alles gut. Wo sie fehlt, muss man nach den Gründen fragen.

„Die Nachfrage nach jungen Mädchen steigt enorm“

The European: Sie sind mit Ihrem Papier in der Koalition vorgeprescht. Wie einig sind Sie sich mit Ihren SPD-Kollegen?
Schön: Wir sind gerade dabei, die Themen mit der SPD, Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Manuela Schwesig zu besprechen. Die Anhörung im Familienministerium war der erste Schritt. In dieser Woche haben wir uns mit Ministerin Schwesig, auf einen Zeitplan verständigt, bis wann wir die Gesetze ändern oder neue Gesetze schaffen wollen. Wir werden sie Sommerpause nutzen und noch in diesem Jahr in den Gesetzgebungsprozess einsteigen.

The European: Was sind denn die größten Unterschiede zwischen dem, was Sie als Union wollen und dem, was die SPD will?
Schön: Die inhaltliche Diskussion haben wir noch nicht eingehend geführt. Aber sicher sind Freierstrafbarkeit und Mindestalter Themen, die zu diskutieren sind. Grundsätzlich müssen wir ohne Tabus an das Thema rangehen. Auch die SPD muss bereit sein, ihr altes Prostitutionsgesetz zu überarbeiten. Würde sie jetzt „Finger weg“ sagen, wäre das die falsche Positionierung. Umgekehrt sind wir auch bereit, über alle unsere Vorschläge ergebnisoffen zu diskutieren.

The European: Im Koalitionsvertrag war ein Gesetz für Ende dieses Jahres vorgesehen. Hätten die beiden Ministerien nicht gerne zuerst einen Vorschlag machen wollen?
Schön: Damit das Gesetz bis Ende des Jahres hätte verabschiedet werden können, hätten sie ihren Vorschlag längst machen müssen. Und es ist genauso Aufgabe des Parlaments, Vorschläge zu machen. Das haben wir mit unseren Eckpunkten getan. Für die Minister wird es damit übrigens einfacher einzuschätzen, was der Koalitionspartner will.

The European: Ihre SPD-Kollegen sehen beim Mindestalter die Gefahr, dass die unter 21-jährigen Prostituierten in die Illegalität gedrängt werden.
Schön: Wir haben uns zu dieser Forderung entschlossen, weil man so junge Frauen besonders schützen muss. Polizei und Hilfsorganisationen haben bestätigt, dass die Nachfrage nach jungen Mädchen enorm steigt. Diese Frauen sind besonders schwach.

The European: Eine 20-jährige Prostituierte wird durch so ein Gesetz nicht plötzlich Bürofachangestellte. Sie wird Mittel und Wege finden und ist dann vermutlich noch schutzloser als zuvor.
Schön: Das Ganze funktioniert natürlich nur, wenn man die entsprechenden Hilfsangebote schafft. Wir wollen niemand kriminalisieren. Wir wollen versuchen, genau diesen Frauen mit Aussteigerprojekten zu helfen, aus dem Milieu rauszukommen.

„Beenden wird nicht möglich sein“

The European: Ihre SPD-Kollegin Eva Högl hat gefordert, Zwangsprostituierten ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu geben. Sind Sie damit einverstanden?
Schön: Ja. Wir wollen die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen für diejenigen, die aussagen, erleichtern. Zurzeit bewegen sich diese Mädchen in großer Unsicherheit darüber, was mit ihnen danach passiert.

The European: Eine Lehre aus der Reform von 2002 ist, dass ein gut gemeinter Vorschlag nicht unbedingt gut funktionieren muss. Was ist jetzt anders, warum soll die Reglementierung dieses Milieus heute besser funktionieren?
Schön: Man hatte damals vor allem die selbstbestimmte Prostituierte im Blick, die dem Beruf eigenverantwortlich und aus freien Stücken nachgeht. Die sollte sich sozialversicherungspflichtig anmelden können. In ganz Deutschland haben das weniger als 50 gemacht! Prostitution ist eben doch kein Beruf wie jeder andere.

The European: Heute scheint die Politik vor allem die Zwangsprostituierte im Blick zu haben. Also das genaue Gegenteil. Beide gibt es in der Realität, aber ihre Notlagen und Interessen sind grundverschieden. Kann ein einheitliches Gesetz hier überhaupt funktionieren?
Schön: Allgemein gültige Regelungen gibt es auch in anderen Bereichen. Man kann nicht politisch argumentieren, dass das alles selbstbestimmte Berufe sind, aber jegliche Art von Auflagen, die es auch bei anderen Formen der Selbstständigkeit gibt, außen vor bleiben sollen. Auch wer sich freiwillig prostituiert, hat doch ein Interesse daran, nicht neben einer anderen zu stehen, die von ihrem Zuhälter zu Dumpingpreisen auf die Straße geschickt wird.

The European: Sie haben gesagt, dass die Hilfsverbände mit schärferen Auflagen einverstanden sind. Der Berufsverband Sexarbeit stellt allerdings sehr gegenteilige Forderungen. Finden dort auch Gespräche statt?
Schön: Wir sprechen natürlich mit allen. Es gab kürzlich auch eine Anhörung vom Familienministerium, bei der der Verband dabei war. Man muss hier aber genau hinschauen. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen etwa repräsentiert die Bordellbetreiber. Nicht zu verwechseln mit dem Bundesverband erotische und sexuelle Dienstleistungen, der die Sexarbeiterinnen vertritt.

The European: Wenn man sich das langfristige politische Ziel vor Augen führt, war 2002 die Idee, aus der Prostitution ein Gewerbe wie jedes andere zu machen. Welchen gesellschaftlichen Zustand wollen Sie mit der neuen Gesetzgebung erreichen?
Schön: Das Ziel muss sein, dass es für die, die der Prostitution aus freien Stücken nachgehen, weiterhin möglich ist. Aber die Zahl derer, die das unfreiwillig macht, und an denen andere ihr Geld verdienen, müssen bestmöglich geschützt werden. Ich sehe beide Ziele.

The European: Haben Sie die Hoffnung, den Sex-Tourismus beenden zu können?
Schön: Beenden wird nicht möglich sein. Wir haben freie Grenzen. Aber es kann doch nicht sein, dass der Staat sagt: Was dort mit den Menschen passiert, interessiert uns nicht.

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