Erneut Gewalt in Europa
Zwei Jahrzehnte nach den Balkankriegen sterben in Europa wieder Menschen in einem bewaffneten Konflikt. Von über 6.000 Toten seit April 2014 spricht der 9. Bericht der Ukraine-Menschenrechtsmission der Vereinten Nationen vom 2. März 2015. Wie konnte es dazu kommen?
Bis 1991 eine Teilrepublik der Sowjetunion, steuert die Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit auf eine Assoziation mit der Europäischen Union zu. Diese hat in jahrelangen Verhandlungen mit der Ukraine ein Partnerschaftsabkommen ausgearbeitet, das diesen Weg weiter ebnen soll. Ähnliche Abkommen bestehen mit Moldawien und Georgien.
Im Dezember 2013 verweigerte der damalige Präsident der Ukraine Wiktor Janukowitsch kurzfristig seine Unterschrift unter dieses Abkommen. Daraufhin erhob sich in der Hauptstadt und andernorts Protest.
Was nach dem "Euro-Maidan" passierte, benannt nach dem zentralen Demonstrationsplatz in Kiew, ist inzwischen Zeitgeschichte: Flucht des Präsidenten nach Russland, Wahl einer Übergangsregierung, Abspaltungstendenzen in der an Russland grenzenden Industrieregion Donbass (Region um Donezk und Lugansk) und auf der Halbinsel Krim. Nach einem irregulär abgehaltenen Referendum erfolgte am 6. März 2014 die völkerrechtswidrige Annexion der ukrainischen Krim durch Russland.
Diplomatische Herausforderungen
Separatistische, von Russland unterstützte Gruppen im Donbass fordern die Zentralregierung der Ukraine mit Waffengewalt heraus. Sie haben große Teile der Region unter ihre faktische Kontrolle gebracht, darunter auch Teile der Landesgrenze mit Russland. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen stellen das Land seither vor massive politische, wirtschaftliche und soziale Herausforderungen.
Die Vorgänge auf der Krim und im Donbass stellen überdies die europäische Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage. Auf dem Spiel steht das völkerrechtlich verbriefte Recht auf Freiheit, Selbstbestimmung und territoriale Unversehrtheit.
Petro Poroschenko wurde am 25. Mai zum neuen Präsidenten der Ukraine gewählt. Übergangsministerpräsident Arsenij Jazeniuk in demokratischen Wahlen im Oktober 2014 im Amt bestätigt. Die OSZE hat die Wahlen überwacht. Mit beiden politischen Führern steht die Bundesregierung in engem Kontakt, um die Krise auf diplomatischem Wege zu lösen. Ein erstes Ergebnis waren die Vereinbarungen von Minsk am 5. und 19. September 2014 zu einem Waffenstillstand und zur Truppenentflechtung.
Bei ihren Friedensbemühungen stehen der Bundeskanzlerin und dem Außenminister die Partner in der EU – allen voran Frankreich – und den USA zu Seite. Zahllose Telefonkonferenzen und direkte Begegnungen in den verschiedensten Konstellationen haben inzwischen stattgefunden. Verhandlungen im sogenannten "Normandie-Format" mit Bundeskanzlerin Merkel und den Präsidenten Hollande, Putin und Poroschenko führten am 11./12. Februar zu einer Bekräftigung der Minsker Vereinbarungen vom Vorjahr.
Wichtigster Teil des vereinbarten "Maßnahmenkatalogs" für die Menschen: eine seit dem 15. Februar geltende Waffenruhe. Sie wird – nach der regelwidrigen Einnahme der ostukrainischen Stadt Debalzewe – gegenwärtig weitgehend eingehalten. Erste Gefangene wurden ausgetauscht, schwere Waffen von beiden Seiten der Frontlinie zurückgezogen. Es besteht "ein Hoffnungsschimmer" auf eine friedliche Lösung.
Die deutsche Ukraine-Politik beruht auf einem Dreiklang: Unterstützung der Ukraine und ihrer Menschen, ständige Bereitschaft zum politisch-diplomatischen Dialog und zugleich, wenn nötig, auch weitere Sanktionen.
Die Bundesregierung stimmt sich dabei fortlaufend mit den Partnern in der EU, den USA und vielen anderen ab. Ziel war und ist eine diplomatische Lösung der Krise. Niemand in Europa wünscht Sanktionen gegenüber Russland. Sollten Sanktionen allerdings unvermeidbar werden, dann wird Europa geschlossen darüber befinden.